marie_a: (Default)
Sanft hinverschmelzendes Largo
Arno Holz

Mein... Glück? ...Mein
Glück?

Mein Glück
ist ein spielendes Blatt im Sommerwind,
der
leichte,
flüchtige, zierliche
Schatten,
mit
dem mich, zwitschernd, die Schwalbe streift,
das
letzte, fernhochschwebend stille,
reglos
schimmernde,
flimmernde, glimmernde
Purpurwölkchen,
das
nach einem leuchtend langen, schönen, golden klaren Sonnentag,
in
einem zarten,
lichten,
himmlisch überirdischen Blaßgrün,
schwindend, scheidend,
selig
versinkt!
marie_a: (Default)
Regenstimmung
Ludwig Thoma

Papa sitzt in der kurzen Hos
Mit blau gefrornem Knie.
Gott, ist denn hier auch gar nischt los?
Nicht eine Skatpartie?

Mama hat zehn Pfund Schwabbelherz
Im Mieder eingeschnürt,
Wodurch sie einen leisen Schmerz
Bis an den Nabel spürt.

Was soll sie tun? Nu Gott, sie nimmt
Was Süßes zu sich ein,
Und was ihr auch nicht gut bekimmt,
Sie fühlt sich so allein.

Die Tochter sitzt auf der Altan'
In Alpenmädchentracht,
Wodurch ihr gleich ein junger Mann
Die Courbeschneidung macht.

Gott! Wenn's nicht fäschonäbl wär!
Was tut mer auf dem Platz?
Die Unterhaltung is prekär
Und wirklich für die Katz.
marie_a: (Default)
Ameisen
Joachim Ringelnatz


In Hamburg lebten zwei Ameisen,
Die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaussee
Da taten ihnen die Beine weh
Und da verzichteten sie weise
Denn auf den letzten Teil der Reise.

So will man oft und kann doch nicht
Und leistet dann recht gern Verzicht.
marie_a: (Default)
They Had Torn Off My Face at the Office
Ted Kooser

They had torn off my face at the office.
The night that I finally noticed
that it was not growing back, I decided
to slit my wrists. Nothing ran out;
I was empty. Both of my hands fell off
shortly thereafter. Now at my job
they allow me to type with the stumps.
It pleases them to have helped me,
and I gain in speed and confidence.
marie_a: (Default)
Wissenschaft
Friedrich Schiller

Einem ist sie die hohe, die himmlische Göttin, dem andern
Eine tüchtige Kuh, die ihn mit Butter versorgt.
marie_a: (Default)
Früher, da ich unerfahren
Wilhelm Busch

Früher, da ich unerfahren
Und bescheidner war als heute,
Hatten meine höchste Achtung
Andre Leute.

Später traf ich auf der Weide
Außer mir noch mehr Kälber,
Und nun schätz ich, sozusagen,
Erst mich selber.
marie_a: (Default)
Anke van Tharaw
Simon Dach
(samländisch, um 1650)

Anke van Tharaw öß, de my geföllt,
Se öß mihn Lewen, mihn Goet on mihn Gölt.

Anke van Tharaw heft wedder eer Hart
Op my geröchtet ön Löw' on ön Schmart.

Anke van Tharaw mihn Rihkdom, min Goet,
Du mihne Seele, mihn Fleesch on mihn Bloet.

Quöm' allet Wedder glihk ön ons tho schlahn,
Wy syn gesönnt by een anger tho stahn.

Kranckheit, Verfälgung, Bedröfnös on Pihn,
Sal vnsrer Löve Vernöttinge syn.

Recht as een Palmen-Bohm äver söckt stöcht,
Je mehr en Hagel on Regen anföcht.

So wardt de Löw' ön onß mächtich on groht,
Dörch Kryhtz, dörch Lyden, dörch allerley Noht.

Wördest du glihk een mahl van my getrennt,
Leedest dar, wor öm dee Sönne kuhmt kennt;

Eck wöll dy fälgen dörch Wölder, dörch Mär,
Dörch Yhß, dörch Ihsen, dörch fihndlöcket Hähr.

Anke van Tharaw, mihn Licht, mihn Sönn,
Mihn Leven schluht öck ön dihnet henönn.

Wat öck geböde, wart van dy gedahn,
Wat öck verböde, dat lätstu my stahn.

Wat heft de Löve däch ver een Bestand,
Wor nich een Hart öß, een Mund, eene Hand?

Wor öm söck hartaget, kabbelt on schleyht,
On glihk den Hungen on Katten begeyht.

Anke van Tharaw dat war wy nich dohn,
Du böst mihn Dühfken my Schahpken mihn Hohn.

Wat öck begehre, begehrest du ohck,
Eck laht den Rack dy, du lätst my de Brohk.

Dit öß dat, Anke, du söteste Ruh'
Een Lihf on Seele wart vht öck on Du.

Dit mahckt dat Lewen tom Hämmlischen Rihk,
Dörch Zancken wart et der Hellen gelihk.
marie_a: (Default)
Ostern
Joachim Ringelnatz

Wenn die Schokolade keimt,
Wenn nach langem Druck bei Dichterlingen
"Glockenklingen" sich auf "Lenzesschwingen"
Endlich reimt,
Und der Osterhase hinten auch schon preßt,
Dann kommt bald das Osterfest.

Und wenn wirklich dann mit Glockenklingen
Ostern naht auf Lenzesschwingen, - - -
Dann mit jenen Dichterlingen
Und mit deren jugendlichen Bräuten
Draußen schwelgen mit berauschten Händen - - -
Ach, das denk ich mir entsetzlich,
Außerdem - - unter Umständen -
Ungesetzlich.

Aber morgens auf dem Frühstückstische
Fünf, sechs, sieben flaumweich gelbe, frische
Eier. Und dann ganz hineingekniet!
Ha! Da spürt man, wie die Frühlingswärme
Durch geheime Gänge und Gedärme
In die Zukunft zieht,
Und wie dankbar wir für solchen Segen
Sein müssen.

Ach, ich könnte alle Hennen küssen,
Die so langgezogene Kugeln legen.
marie_a: (Default)
Im Vorübergehn
Johann Wolfgang von Goethe

Ich ging im Felde
So für mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.

Da stand ein Blümchen
Sogleich so nah,
Daß ich im Leben
Nichts lieber sah.

Ich wollt es brechen,
Da sagt' es schleunig:
»Ich habe Wurzeln,
Die sind gar heimlich.

Im tiefen Boden
Bin ich gegründet;
Drum sind die Blüten
So schön geründet.

Ich kann nicht liebeln,
Ich kann nicht schranzen;
Mußt mich nicht brechen,
Mußt mich verpflanzen.«

Ich ging im Walde
So vor mich hin;
Ich war so heiter,
Wollt immer weiter -
Das war mein Sinn.
marie_a: (Default)
Ich habe dich so lieb
Joachim Ringelnatz

Ich habe dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken
Eine Kachel aus meinem Ofen
Schenken.

Ich habe dir nichts getan.
Nun ist mir traurig zu Mut.
An den Hängen der Eisenbahn
Leuchtet der Ginster so gut.

Vorbei - verjährt -
Doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt,
Ist leise.

Die Zeit entstellt
Alle Lebewesen.
Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen.
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.

Ich lache.
Die Löcher sind die Hauptsache
An einem Sieb.

Ich habe dich so lieb.
marie_a: (Default)
Lay your sleeping head, my love
W.H.Auden

Lay your sleeping head, my love,
Human on my faithless arm;
Time and fevers burn away
Individual beauty from
Thoughtful children, and the grave
Proves the child ephemeral:
But in my arms till break of day
Let the living creature lie,
Mortal, guilty, but to me
The entirely beautiful.

Soul and body have no bounds:
To lovers as they lie upon
Her tolerant enchanted slope
In their ordinary swoon,
Grave the vision Venus sends
Of supernatural sympathy,
Universal love and hope;
While an abstract insight wakes
Among the glaciers and the rocks
The hermit's sensual ecstasy.

Certainty, fidelity
On the stroke of midnight pass
Like vibrations of a bell,
And fashionable madmen raise
Their pedantic boring cry:
Every farthing of the cost,
All the dreaded cards foretell,
Shall be paid, but from this night
Not a whisper, not a thought,
Not a kiss nor look be lost.

Beauty, midnight, vision dies:
Let the winds of dawn that blow
Softly round your dreaming head
Such a day of sweetness show
Eye and knocking heart may bless,
Find the mortal world enough;
Noons of dryness see you fed
By the involuntary powers,
Nights of insult let you pass
Watched by every human love.
marie_a: (Default)
Todesfuge
Paul Celan

Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne er pfeift seine Rüden herbei
er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen
Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland

dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith
marie_a: (Default)
Report on Human Beings
Michael Goldman

You know about desks and noses,
proteins, mortgages, orchestras,
nationalities, contraceptives;
you have our ruins and records,
but they won't tell you
what we were like.

We were distinguished
by our intrest in scenery;
we could look at things for hours
without using or breaking them--
and there was a touch of desperation, not to be found
in any other animal,
in the looks of love we directed
at our children.

We were treacherous of course.
Like anything here--
winds, dogs, the sun--
we could turn against you unexpectedly,
we could let you down.
But what was remarkable about us
and which you will not believe
is that we alone,
with the exception of a few pets
who probably learned it from us,
when betrayed
were frequently surprised.

We were one of a million species
who continually cried out
or silently wept with pain.
I am proud that we alone resented
taking part in the chorus.

Yes, some of us
like to cause pain.
Yes, most of us
sometimes
liked to cause pain,
but I am proud that most of us
were ashamed
afterward.

Our love of poetry would have amused you;
we were so proud of language
we thought we invented it
(and thus failed to notice
the speech of the animals,
the birds' repeated warnings,
the whispered intelligence
of mutant cells).

We did invent boredom,
a fruitful state.
It hid the size of our desires.
We were spared many murders,
many religions
because we could say, "I am bored."
A kind of clarity
came when we said it
and we could go to Paris or the movies,
give useful parties, master languages,
rather than sink our teeth in our lover's throat
and shake till things felt right again.

Out of the same pulsing world
you know,
out of gases, whorls,
fronds, feelers, jellies,
we devised hard edges,
strings of infinite tension stretched
to guide us.
The mind's pure snowflake
was our map.
Lines, angles, outlines
not to be found in rocks or seas
or living matter
or in the holes of space,
how strange these shapes must look to you,
at odds with everything,
uncanny, broken from the flow,
I think they must be for you
what we called art.

What was most wonderful about us
was our kindness,
but of this it is impossible to speak.
Only someone who knows our cruelty,
who knows the fears we always lived with,
fear of inside and outside, smooth and rough,
soft and hard, wet and dry, touch and no touch,
only someone who understands the great palace we built
on the axis of time
out of our fear and cruelty and called history,
only those who have lived in the anger
of a great modern city,
who saw the traffic in the morning
and the police at night
can know how heartbreaking
our kindness was.

Let me put it this way.
One of us said, "I think
our life is not as good
as the mind warrants,"
another, "It is hard
to be alone and alive at the same time."
To understand these statements
you would have to be human.

Our destruction as a species
was accidental.
Characteristically
we blamed it on ourselves,
which neither the eagle
nor the dinosaur would do.

Look closely around you,
study our instruments,
scan the night sky.
We were alien.
Nothing in the universe
resembles us.
marie_a: (Default)
Georg Heym

Und die Hörner des Sommers verstummten im Tode der Fluren,
In das Dunkel flog Wolke auf Wolke dahin.
Aber am Rande schrumpften die Wälder verloren,
Wie Gefolge der Särge in Trauer vermummt.

Laut sang der Sturm im Schrecken der bleichenden Felder,
Er fuhr in die Pappeln und bog einen weißen Turm.
Und wie der Kehricht des Windes lag in der
Leere Drunten ein Dorf, aus grauen Dächern gehäuft.

Aber hinaus bis unten am Grauen des Himmels
Waren aus Korn des Herbstes Zelte gebaut,
Unzählige Städte, doch leer und vergessen.
Und niemand ging in den Gassen herum.

Und es sang der Schatten der Nacht. Nur die Raben noch irrten
Unter den drückenden Wolken im Regen hin,
Einsam im Wind, wie im Dunkel der Schläfen
Schwarze Gedanken in trostloser Stunde fliehn.
marie_a: (Default)
THE THOUSANDTH MAN
by Rudyard Kipling

One man in a thousand, Solomon says,
Will stick more close than a brother.
And it's worthwhile seeking him half your days
If you find him before the other.

Nine hundred and ninety-nine depend
On what the world sees in you,
But the Thousandth Man will stand your friend
With the whole round world agin you.

'Tis neither promise nor prayer nor show
Will settle the finding for 'ee.
Nine hundred and ninety-nine of 'em go
By your looks, or your acts, or your glory.

But if he finds you and you find him,
The rest of the world don't matter;
For the Thousandth Man will sink or swim
With you in any water.

You can use his purse with no more talk
Than he uses yours for his spendings,
And laugh and meet in your daily walk
As though there had been no lendings.

Nine hundred and ninety-nine of 'em call
For silver and gold in their dealings;
But the Thousandth Man he's worth 'em all,
Because you can show him your feelings.

His wrong's your wrong, and his right's your right,
In season or out of season.
Stand up and back it in all men's sight--
With that for your only reason!

Nine hundred and ninety-nine can't bide
The shame or mocking or laughter,
But the Thousandth Man will stand by your side
To the gallows-foot--and after!
marie_a: (Default)
Winterabend
Alfred Lichtenstein

In gelben Fenstern trinken Schatten heißen Tee.
Sehnsüchtge wiegen sich auf hartem Schimmerteiche.
Arbeiter finden eine sanfte Damenleiche.
Johlende Dunkle werfen glimmend blauen Schnee.

An hohen Stangen hängt, verfleht, ein Streichholzmann.
Kaufläden flackern trüb durch frostbeschlagne Scheiben,
Vor denen Menschenleiber wie Gespenster treiben.
Studenten schneiden ein erfrornes Mädchen an.

Wie lieblich der kristallne Winterabend brennt!
Schon strömt ein Platinmond durch eine Häuserlücke.
Bei grünlichen Laternen unter einer Brücke
Liegt ein Zigeunerweib. Und spielt ein Instrument.
marie_a: (Default)
Dangerous to Know, Even After Death
Patricia Brody

"Mad, bad, and dangerous to know"
— Lady Caroline Lamb's journal entry, on first meeting Lord Byron, 1812

Oh! was it in woman's nature to hear him, and not to cherish every word? It was Glenarvon – that spirit of evil whom she beheld; her soul trembled within, and felt its danger.
— Glenarvon, Lady Caroline Lamb, London, 1816



I've been chilling with these dead people,
not just reading their letters and poems
but going to their balls.

I've been under their clothes
in their skins
sticking to dampened petticoats

and floaty muslin.
I'm at Devonshire House;
Lady Someone is my mother.

At Brocket I'm running through the trees,
a lordly satyr at my heels, his lip
curled, his brow furred, skin agleam,

his hair black as the moors, of course.
"I know not," I say in some confusion,
"but this I believe; the hand of heaven never

impressed on man a countenance
so beautiful . . ." Oh if it falls on me —
"What, is it even so? — Heaven defend us!"

There are parties and morning calls,
dances from Allemagne and Spain
swirling the halls. These most nervous affairs!

Fly me, says the mad corsair.
Deep-drugged in the night
I creep from bed, Lord M. stretched

senseless beside me.
Down through Georgiana's garden
I fall, down to the white hawthorn

as the mist rises from wet petals
and opium swells in syrupy drafts,
I swoon: For God's sake, sherry!

(Sips from Spain revive me.)
And the susurrous leaves will
waken the heat in my reborn thighs.

Over the moonstones I leap, snapping twigs.
Grass clings to my winged soles.
"Do you know what I've done?" sneers he.

"I've heard but I know it is false," I breathe.
"No, I've done what they say," he boasts.
How can I not cry out?

He reaches to crush me into his coat,
his thigh strums through my gown,
I drink his sighs in the moonlight —

broken gasps — Greek and natural;
we are so gone, we are so pale,
and his maimed foot throbs in the soil.
marie_a: (Default)
Die Brücke am Tay
Theodor Fontane

(28.Dezember 1879)

When shall we three meet again?
Macbeth

"Wann treffen wir drei wieder zusamm?"
"Um die siebente Stund',am Brückendamm."
"Am Mittelpfeiler."
"Ich lösche die Flamm."
"Ich mit."
"Ich komme vom Norden her."
"Und ich vom Süden."
"Und ich vom Meer."
"Hei das gibt ein Ringelreihn,
und die Brücke muß in den Grund hinein."
"Und der Zug, der in die Brücke tritt
um die siebente Stund'?"
"Ei der muß mit."
"Muß mit"
"Tand, Tand
ist das Gebilde von Menschenhand!"

Auf der Norderseite, das Brückenhaus-
alle Fenster sehen nach Süden aus,
und die Brücknersleut'ohne Rast und Ruh'
und in Bangen sehen nach Süden zu,
sehen und warten, ob nicht ein Licht
übers Wasser hin "Ich komme" spricht,
"ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug,
ich, der Edinburger Zug."

Und der Brückner jetzt: "Ich seh einen Schein
am anderen Ufer. Das muß er sein.
Nun, Mutter, weg mit dem bangen Traum,
unser Johnie kommt und will seinen Baum,
und was noch am Baume von Lichtern ist,
zünd alles an wie zum heiligen Christ,
der will heuer zweimal mit uns sein -
und in elf Minuten ist er herein."

Und es war der Zug. Am Süderturm
keucht er vorbei jetzt gegen den Sturm,
und Johnie spricht: "Die Brücke noch!
Aber was tut es, wir zwingen es doch.
Ein fester Kessel, ein doppelter Dampf,
die bleiben Sieger in solchem Kampf.
Und wie's auch rast und ringt und rennt,
wir kriegen es unter, das Element.

Und unser Stolz ist unsre Brück';
ich lache, denk' ich an früher zurück,
an all den Jammer und all die Not
mit dem elend alten Schifferboot;
wie manche liebe Christfestnacht
hab'ich im Fährhaus zugebracht
und sah unsrer Fenster lichten Schein
und zählte und konnte nicht drüben sein."

Auf der Norderseite, das Brückenhaus -
alle Fenster sehen nach Süden aus,
und die Brücknersleut' ohne Rast und Ruh'
und in Bangen sehen nach Süden zu;
denn wütender wurde der Winde Spiel,
und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel,
erglüht es in niederschießender Pracht
überm Wasser unten...Und wieder ist Nacht.

"Wann treffen wir drei wieder zusamm?"
"Um Mitternacht am Bergeskamm."
"Auf dem hohen Moor, am Erlenstamm."
"Ich komme"
"Ich mit."
"Ich nenn'euch die Zahl.
"Und ich die Namen."
Und ich die Qual."
"Hei:
Wie Splitter brach das Gebälk entzwei."
"Tand, Tand
ist das Gebilde von Menschenhand."
marie_a: (Default)
Kein Gedicht
Paul Scheerbart

Ich möchte so gern wie ein König
die lange Weile besiegen.
Doch der Glanz der ewigen Sonnen
Begeistert mich heute nicht.
Ich habe Vieles begonnen.
Doch das macht noch kein Gedicht.
marie_a: (Default)
Do not go gentle into that good night
Dylan Thomas

Do not go gentle into that good night,
Old age should burn and rave at close of day;
Rage, rage against the dying of the light.

Though wise men at their end know dark is right,
Because their words had forked no lightning they
Do not go gentle into that good night.

Good men, the last wave by, crying how bright
Their frail deeds might have danced in a green bay,
Rage, rage against the dying of the light.

Wild men who caught and sang the sun in flight,
And learn, too late, they grieved it on its way,
Do not go gentle into that good night.

Grave men, near death, who see with blinding sight
Blind eyes could blaze like meteors and be gay,
Rage, rage against the dying of the light.

And you, my father, there on the sad height,
Curse, bless, me now with your fierce tears, I pray.
Do not go gentle into that good night.
Rage, rage against the dying of the light.

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